3.3.5.3. Kondratieff-Zyklen
Der russische Ökonom Nikolai Dmitrijewitsch Kondratieff (1892-1938) veröffentlichte 1926 seinen Artikel “Die langen Wellen der Konjunktur", in dem er zum ersten Mal seine Theorie über einen langfristigen Konjunkturzyklus vorstellte.[186] Kondratieff untersuchte die Schwankungen der Zinssätze und Großhandelspreise für die USA, England und Frankreich.[187] In seinen Beobachtungen erkannte er, dass die wirtschaftliche Entwicklung nicht nur durch kurze und mittlere Konjunktur-schwankungen geprägt ist, sondern auch durch lange Phasen der Prosperität und Rezession. Diese langfristigen Zyklen wiederholen sich seiner Meinung nach alle 45 bis 60 Jahre. Kondratieffs Erkenntnisse bildeten die Grundlage einer neuen Forschungsrichtung, die unter der Bezeichnung “Theorie der langen Wellen” weltweit bekannt wurde.[188] Nach dem Tod Kondratieffs war es Joseph Schumpeter, der diese Theorie weiterführte und die langen Wellen als “Kondratieff-Zyklus” bezeichnete. Schumpeter stellte in seinen Untersuchungen fest, dass bestimmte grundlegende technische Innovationen, sogenannte Basisinnovationen, als Auslöser dieser langen Zyklen anzusehen sind.[189] Im Gegensatz dazu, identifizierte Kondratieff die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus als Ursache der langfristigen Zyklen. Die neuen Technologien waren für ihn lediglich eine Folge der langen Wellen.[190]
In den letzten 250 Jahren konnten fünf Kondratieff-Zyklen empirisch nachgewiesen werden. Dieser Verlauf ist in Abb. 17 dargestellt.[191] Die erste Periode (ca. 1790-1850) wurde beeinflusst durch die Frühmechanisierung und dem Übergang der Agrar- in die Industriegesellschaft. Begleitet wurde diese Industrialisierung durch den Einsatz der Dampfmaschine in der Produktion.[192] Die zweite “lange Welle” (ca. 1850-1890) war hauptsächlich geprägt durch die Herstellung der Eisenbahn, der Massen-erzeugung von Stahl und der Entwicklung der Schifffahrt.[193] Durch Innovationen in der Elektro-Technologie (Elektromotor, Radio, Telefon, Beleuchtung) und durch neue Produkte in der Chemieindustrie wurde der dritte Kondratieff-Zyklus (ca. 1890-1940) im Wesentlichen gelenkt. Während dieser Periode arbeitete Kondratieff an seinem Aufsatz und er prognostizierte das Ende dieser Welle gegen 1930. Seine Vorhersage bewahrheitete sich als im Oktober 1929 durch einen massiven Börseneinbruch eine Weltwirtschaftskrise eingeleitet wurde.[194] Eine weitere vierte Periode (ca. 1940-1990) war geprägt durch die Basisinnovationen integrierter Schaltkreis, Kernenergie und Automobilproduktion.[195] Seit ca. 1990 befindet sich das aktuelle Wirtschafts-geschehen in dem fünften Kondratieff-Zyklus. Dieser wird maßgeblich durch die Informations- und Kommunikations-Technologie und die Computerindustrie bestimmt. Damit ist der fünfte Zyklus der erste, der durch immaterielle Güter (Information, Kommunikation) und nicht durch materielle Güter (Stahl, Eisenbahn, Automobil) beeinflusst wird. Der Übergang vom vierten zum fünften Zyklus stellt demzufolge einen Wechsel von einem energie- zu einem informationsgetriebenen Strukturwandel dar. Zudem endet die Industriegesellschaft und geht in eine Informationsgesellschaft über.[196]
Ein wichtiges Kennzeichen aller fünf Perioden besteht darin, dass bereits bekannte, aber bis dahin ungenutzte Ressourcen, aufgrund eines nicht zu befriedigenden Bedarfs, deutlich an Bedeutung gewinnen.[197] Diese Basisinnovationen entwickeln sich in den Abschwungphasen der langen Wellen, in denen die Jahre mit wirtschaft-licher Rezession überwiegen. Dagegen dominieren in den Aufschwungphasen, die länger andauern als die Abstiegsphasen, die Jahre mit hoher Konjunktur.[198]
Mit der Frage, welche Basisinnovation den sechsten Kondratieff-Zyklus beeinflussen wird, beschäftigen viele Zyklenforscher. Dabei gilt der Life Science-Bereich (Biotechnologie, Gesundheit und Umwelt) als ein möglicher Kandidat.[199] Auch der Wirtschaftstheoretiker Leo Nefiodow sieht das Gesundheitswesen als zukünftigen Wachstumsmotor der Wirtschaft. Dabei ist nicht nur die reine körperliche, sondern auch die seelische, ökonomische und soziale Gesundheit gemeint.[200] Alternative Impulsgeber für eine künftige neue Welle können sich aus dem Gebiet der Nanotechnologie und Fusionstechnologie entwickeln.[201]

Abbildung 17: Die Kondratieff-Zyklen und ihre Basisinnovationen | Quelle: Händeler, E. (2006), S. 27.
186Vgl. Nefiodow, L. (2000), S. 2.
187Vgl. Maußner, A. (1994), S. 3-4 und Gebert, T. (1997), S. 12.
188Vgl. Nefiodow, L. (2000), S. 2.
189Vgl. Wikipedia (2007): Kondratieff-Zyklus.
190Vgl. SDI-Research (2007): Kondratieff-Zyklus.
191Vgl. Nefiodow, L. (2000), S. 4.
192Vgl. ebenda und Gebert, T. (1997), S. 12.
193Vgl. Nefiodow, L. (2000), S. 5.
194Vgl. Wikipedia (2007): Kondratieff-Zyklus.
195Vgl. Nefiodow, L. (2000), S. 6-7.
196Vgl. ebenda, S. 8-13.
197Vgl. 4managers.de (2007): Kondratieff-Zyklus.
198Vgl. Wikipedia (2007): Kondratieff-Zyklus.
199Vgl. Mittermaier, C. (2004), S. 14.
200Vgl. Nefiodow, L. (2000), S. 121, 136-137.
201Vgl. Wikipedia (2007): Kondratieff-Zyklus.